Haruspizien

Unter den Haruspizien oder Auspizien verstand man in der antiken Magie und Orakelkunde die Deutung von bestimmten Zeichen zur Prognose und zur Zukunftsschau. Ein Haruspiz konnte zum Beispiel im Ausweiden eines Tieres bestehen, dem man aus den Eingeweiden las (meist aus der Leber), und diese daraufhin untersuchte, ob sich irgendwelche Zeichen, Verfärbungen oder Verwachsungen fänden, die auf ein bestimmtes Schicksal hindeuteten. Die Prozesse der Zukunftsdeutung aus Haruspizien oder Auspizien waren überaus kompliziert und unterlagen verschiedenen Riten. Oft wurden zur Schlachtung nur Opfertiere eines bestimmten Tempelbezirks genommen, die mit speziellem Futter gefüttert worden waren, wie die heiligen Gänse auf dem Kapitol oder die heiligen Schweine der Demeter; oft musste die rituelle Schlachtung an einem bestimmten Tag stattfinden, den zuvor der Astrologe unter Beiziehung der Sterne ausrechnete, und die Deutung selbst war sehr komplex, da die Zeichen nur für den erfahrenen Kenner zu entschlüsseln waren.

Die Menschen, die die Haruspizien deuten konnten, hießen Auguren. Ein sehr berühmter Augur der Antike war Spurinna, der dem Julius Cäsar voraussagte, er werde die Iden des März (den 15.03.) nicht überleben. Tatsächlich hatte Spurinna Recht, auch wenn Cäsar noch über ihn spottete, denn der Mörder Brutus erdolchte den Kaiser noch bevor die Iden des März vorüber waren. Wie hoch die Orakeldeuter damals in der öffentlichen Geltung standen, beweist die Tatsache, dass nicht nur Cäsar – dem sein Orakeldeuter Spurinna leider nicht mehr helfen konnte – sondern so gut wie jeder Kaiser und Herrscher seinen eigenen Deuter hatte, der für ihn durch Tieropfer die Zeichen der Zeit auslegte, um ihn zu beraten und vor Gefahren zu warnen.

In der modernen Orakelkunde spielen Haruspizien wie das Deuten aus der Leber des Opfertiers – zumindest in Europa – heute keine Rolle mehr, doch traditionelle Gesellschaften in Übersee und Ozeanien und Magier aus dem Voodoo praktizieren bis heute noch Rituale, die den Haruspizien der antiken Orakeldeuter sehr ähnlich sind. Das Argument zur Beibehaltung des archaischen Tieropfers lautet oft, dass dieses Orakel nicht manipulierbar sei und zudem auch unbestritten individuell, da es nur für diesen einen Menschen in dieser speziellen Situation und zu diesem bestimmten Zeitpunkt durchgeführt werde und in dieser Form auch nicht replizierbar (wiederholbar) sei. Viele moderne europäische Hellseher und Wahrsager halten das Schlachten von Tieren zum Zweck der Zukunftsschau jedoch für ethisch unvertretbar und auch überflüssig, zumal das Wahrsagen aus Tarot-Karten oder Runen sich in der Praxis als ähnlich aussagekräftig, wenn nicht besser, erwiesen hat.


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