Bibelstechen

Das Bibelstechen ist ein alter Brauch, der ein Mittelding zwischen Unterhaltung, Religion und Orakel darstellt. Man nimmt eine Bibel und sticht mit einer Nadel in die Seitenansicht des geschlossenen Buchs hinein. Dann öffnet man das Buch auf derselben Seite, die durch die Nadel markiert wurde, und liest den entsprechenden Spruch, oder das entsprechende Kapitel dieser Seite. Der Volksglaube sagt, dass durch das „Bibelstechen“ tatsächlich in die Zukunft geblickt werden können – denn das, was man auf diese Art und Weise in der Bibel läse, habe eine unbedingte Bedeutung für den Leser für die Bestimmung seiner Gegenwart und Zukunft.

Man hat das „Bibelstechen“ traditionell in den ländlichen Gemeinden im späten Mittelalter und in der frühen Neuzeit verwendet, um auf einfache Art einen Überblick über die nächste Zukunft, oder einen Lebensrat für eine gegenwärtige Krise oder schwierige Situation, zu erzielen. Oft konnten die Menschen in der Frühzeit jedoch nicht lesen, und so wurde die Bibel zur Deutung der entsprechenden Stelle oft zum Pfarrer gebracht, der dann seinerseits den markierten Spruch vorlesen musste. So waren die Machtverhältnisse geklärt und es konnte nicht immer mit Bestimmtheit gesagt werden, ob das, was der kirchliche Kleriker „herauslas“ für die Zukunft, wirklich so im Urtext stand oder nicht vielmehr seine eigene Interpretation, oder vielleicht eine frei gesprochene Ermahnung für seine „Schäfchen“, war. Allerdings hat sich der Brauch des Bibelstechens auch in die Neuzeit hinübergerettet, als schon viele Menschen alphabetisiert waren und selbständig lesen konnten. Es machte einfach Spaß, durch scheinbar zufällige Markierungen einen Sprich im „Buch der Bücher“ zu finden, der oft tatsächlich ganz passend war, um Gegenwart und Zukunft zu erhellen.


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